Deutscher Müll in Polen

Text, Video

“Es stinkt gewaltig”

In Polen brannten 2018 so viele Mülldeponien wie noch nie. Bei vielen Großbränden handelte es sich um Brandstiftung, bei denen nachweislich auch ausländischer Müll “heiß entsorgt” wurde. Für das rbb-Magazin “Kowalski & Schmidt” bin ich der Frage nachgegangen, auf welchen Wegen deutscher Müll illegal nach Polen gelangt und stieß schließlich auf das kleine Dörfchen Sarbia, etwa anderthalb Stunden nördlich von Poznan. Die rund 600 Einwohner leben seit einem Jahr mit einer illegalen Deponie vor der Haustür, auf der vor allem Abfälle aus Deutschland liegen. Wie der Müll dorthin kam, habe ich als TV-Stück und in Textform erzählt.

Seit es den illegalen Müll gibt, gebe es Probleme mit Schaben und Kakerlaken, erzählt Roman Maćkowiak.

Meterhohe Abfallberge türmen sich hinter einem Drahtzaun. Unter der feinen Schneedecke sehen die Müllballen fast harmlos aus. Am Tor hängt noch das Transparent mit der Aufschrift “Recycling”, darunter eine Telefonnummer. Sie gehört dem Pächter des Geländes, dem Unternehmer Robert S. aus Poznan.

Der ist allerdings nicht mehr zu erreichen. Ende 2017 hatte er das Areal am Rande von Sarbia, einem 600-Einwohner-Dorf in der Wojewodschaft Großpolen, von einer Firma gepachtet. Vorgeblich, um darauf Abfälle zu sortieren und sie später zu entsorgen. Doch das war gelogen. Seit Februar 2018 liegen in Sarbia mehrere Tausend Tonnen Abfälle, vor allem aus Deutschland.

“20 Lkw am Tag, von früh bis spät”

Die Dorfbewohner können noch immer nicht fassen, dass sie neben einer illegalen Deponie wohnen. “Anfangs haben sie den Müll nur in den Abendstunden gebracht, damit wir so wenig wie möglich davon mitbekommen”, erzählt Damian Wylegało. “Aber als wir anfingen, dagegen zu protestieren, da kamen dann etwa zwanzig Lkw am Tag, von früh bis spät.”

Er und andere Einwohner hegten früh den Verdacht, dass mit den Abfällen etwas nicht stimmt. Als die regionale Umweltbehörde das Gelände bald darauf kontrollierte, stellte sie tatsächlich zahlreiche Verstöße fest: Die Müllballen lägen nicht auf festem Grund und seien nicht eingeschweißt. Vor allem aber seien andere Abfälle dort gelagert, als genehmigt: Größtenteils kommunale Abfälle aus Deutschland, aber auch Schrott und Sondermüll.

Ungeziefer, Schaben, Kakerlaken

Im Sommer habe es unerträglich gestunken, klagt Anwohnerin Dorota Krawiec. Dazu habe sich mit dem Müll jede Menge Ungeziefer im Dorf breit gemacht. Ihr Nachbar Roman Maćkowiak, der von seinem Haus die Müllberge sehen kann, zieht ein Einwegglas aus seinem Mantel. Darin schwimmen Schaben in Spiritus. Die habe er Zuhause gefangen, in nur einer Woche, erzählt er. “Früher hatten wir sowas nie!” Jetzt gebe es Schaben und Kakerlaken und es sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Ratten kommen. Außerdem fürchten die Dorfbewohner um ihr Trinkwasser.

Der Brunnen, aus dem das Dorf mit Wasser versorgt wird, steht auf dem Grundstück neben der illegalen Deponie. Das beste Wasser in der Region hätten sie gehabt, sagt Damian Wylegalo. Doch seit der Müll da sei, würden Chemikalien beigesetzt – vorsichtshalber.

Müllschmuggel mit Methode

Sarbia ist kein Einzelfall. Das kleine Dorf ist Opfer der sogenannten “Müll-Mafia” geworden – einem Netzwerk von Kriminellen, die mit gefälschten Papieren Abfälle aus Westeuropa nach Polen bringen. Statt den Müll fachgerecht zu entsorgen, lassen die Täter ihn einfach irgendwo zurück oder fackeln ihn ab.

2018 gab es zahlreiche Großbrände auf polnischen Deponien. Oft wurden sie gezielt gelegt, um unliebsame Abfälle heiß zu entsorgen. Seit China einen Importstopp für zahlreiche Abfallarten durchgesetzt hat, käme deutlich mehr ausländischer Müll ins eigene Land, so ein in der polnischen Presse oft geäußerter Vorwurf. Polens Regierung reagierte, indem sie der “Müll-Mafia” den Krieg erklärte und das bislang geltende Abfallrecht novellierte.

Gefährliche Abfälle einfach umdeklariert

Auch in Berlin und Brandenburg schaut man genau hin, welche Abfälle die Grenze überqueren. Das Bundesamt für Güterverehr (BAG) und die Sonderabfallgesellschaft Berlin-Brandenburg (SBB) kontrollieren regelmäßig Abfall-Lkw, die Richtung Polen fahren. Meist stimmen Papiere und Ladung überein, erzählt Berend Wilkens von der SBB – aber eben längst nicht immer. Mitunter würden gefährliche Abfälle einfach umdeklariert. “Dieser Teil des Abfallgeschäfts gehört eindeutig zur Wirtschaftskriminalität”, so Wilkens.

Wer Abfälle illegal – falsch deklariert oder ohne Genehmigung – ins Ausland bringt, macht sich strafbar und muss mit hohen Geldstrafen oder sogar mit Gefängnis rechnen. Die Verantwortung für illegale Müllausfuhren sieht Wilkens auf beiden Seiten: Einige Unternehmen in der Region seien aktiv von polnischen Entsorgern angesprochen worden. Es gebe aber genug deutsche Firmen, die günstig in Polen entsorgen wollten. “In der Regel weiß man, dass man Geld spart. Das ist der Antrieb”, sagt Wilkens.

Ein europaweites Business

In Sarbia wollen sie, dass der deutsche Müll so schnell wie möglich aus ihrem Dorf verschwindet. Doch das ist kompliziert. Der Unternehmer Robert S. hat den Müll trotz mehrfacher Aufforderung nicht abgeholt. Gegen ihn und andere mutmaßliche Mitglieder der “Müll-Mafia” wird inzwischen ermittelt. 

Falls der Unternehmer nicht für die Beseitigung der Abfälle einsteht, wäre der Landkreis am Zug. Der müsste einen Kredit über mehrere Millionen Zloty aufnehmen, um für Abtransport und Entsorgung bezahlen zu können. Auch eine Rückführung der Abfälle nach Deutschland ist denkbar, sofern sich die Herkunft des Mülls zweifelsfrei beweisen lässt. Dafür müsste Warschau ein offizielles Rückholersuchen stellen, was bislang noch nicht geschehen ist.

“Wir werden bis zur totalen Erschöpfung kämpfen”

Die Täter haben am schmutzigen Geschäft mit dem Müll vermutlich Millionen verdient. Abfälle in Osteuropa zu entsorgen, ist ein einträgliches Geschäft. “Das betrifft nicht nur uns hier in Polen!” schimpft die Anwohnerin Helena Jasińska-Przychodniak.

“In Rumänien, Bulgarien und der Ukraine gibt es genau die gleichen Probleme. Das ist ein europaweites Geschäft.” Sie hofft, dass sich daran etwas ändert, je lauter und öfter sie in Sarbia die Geschichte erzählen, die ihnen widerfahren ist. Ortsvorsteherin Longina Wika fügt hinzu: “Wir werden bis zur totalen Erschöpfung kämpfen. Und wir werden erreichen, dass dieser Müll weggeschafft wird.”

Sendung:  Kowalski & Schmidt, 26.01.2019, 17.25 Uhr